Häufige Fragen / Frequently asked questions (FAQ)
Hier finden Sie Informationen rund um das Thema CVI in der Schweiz.
CVI (Cerebral Visual Impairment) ist ein Sammelbegriff für Sehbeeinträchtigungen, die ihre Ursache in einer fehlerhaften Verarbeitung der Sehreize im Gehirn haben. Er ist aktuell die gebräuchlichste Bezeichnung im internationalen Kontext. Im Deutschen wird auch der Begriff VVWS (Visuelle Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung) verwendet. In den offiziellen medizinischen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) wird die kombinierte Bezeichnung VVWS/CVI genutzt. Bei CVI können Fachpersonen aus der Augenheilkunde keine Einschränkungen am Auge oder am Sehnerv feststellen, die das visuelle Verhalten von Betroffenen erklären – auch wenn gleichzeitig eine okuläre Sehbeeinträchtigung vorliegen kann. Dennoch zeigen sich im Alltag Einschränkungen, die auf das visuelle System zurückzuführen sind.
CVI kann Kinder, Jugendliche und Erwachsene betreffen. Bei Erwachsenen ist CVI häufiger erworben, zum Beispiel infolge eines Schlaganfalls oder Tumors im Gehirn. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Einschränkungen häufiger angeboren und oft verursacht durch Sauerstoffmangel vor, während oder nach der Geburt oder durch Gehirnfehlbildungen. Zu den Risikogruppen von CVI zählen daher Frühgeborene, Kinder mit Zerebralparese oder anderen Hirnschädigungen. Jedoch muss für die Diagnosestellung begründet sein, dass die Schwierigkeiten im Alltag durch die visuelle Wahrnehmung und nicht etwa durch kognitive Beeinträchtigungen zustande kommen.
Aussagen zu den Häufigkeiten von CVI gestalten sich noch schwierig, auch weil bisher eindeutige Diagnosekriterien fehlen. Studien aus England und Frankreich legen nahe, dass 1-6% der Kinder an Regelschulen visuelle Wahrnehmungsstörungen aufweisen (Williams et al. 2021, Cavézian et al. 2010). Bei Kindern mit Mehrfachbeeinträchtigung muss man sogar davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte (50-70%) von CVI betroffen sind (Fazzi et al. 2007, Zihl et al. 2012, Williams et am. 2021, Schenk-Rotlieb 2021). Bei Jugendlichen und Erwachsenen mit erworbener Hirnschädigung wird angenommen, dass etwa 20-40% eine Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung erfahren (Lasogga & Michel 1994, Kerkhoff et al. 2007).
Dementsprechend muss man davon ausgehen, dass es in allen Altersgruppen und in den meisten Schulklassen, insbesondere aber an Heilpädagogischen Schulzentren von CVI betroffene Menschen gibt. Die meisten der betroffenen Kinder und Erwachsenen in der Schweiz haben vermutlich noch keine offizielle CVI-Diagnose. Dennoch zeigen sich bei ihnen spürbare Auswirkungen im Alltag sowie ein entsprechender Unterstützungsbedarf.
Im Gegensatz zu vielen anderen Formen von Sehbeeinträchtigung sieht man bei CVI den Augen nicht an, dass eine Einschränkung des Sehens besteht. Die möglichen Auswirkungen sind vielfältig und teilweise unspezifisch. Daher ist bei einem Verdacht auf eine zerebrale Sehbeeinträchtigung eine interdisziplinäre Diagnostik durch Fachpersonen aus verschiedenen Disziplinen notwendig. Mögliche Hinweise auf CVI können sein:
- Gesichter oder Objekte werden gar nicht oder nur kurz angeschaut.
- Der auditive und taktile Sinn scheinen dominanter als der visuelle.
- Die visuelle Aufmerksamkeit ist sehr kurz oder stark schwankend.
- Es bestehen Schwierigkeiten, Einzelheiten zu erkennen oder Objekte zu finden, wenn der Untergrund gemustert (z. B. Spielteppich) oder die visuelle Situation komplex ist (z. B. viele Menschen oder viele Objekte).
- Möbel oder Objekte werden übersehen; es kommt zu häufigem Stolpern und Anstossen ohne motorische Ursache.
- Es bestehen Schwierigkeiten in der Raumwahrnehmung; die Folgen sind häufiges Danebengreifen oder Unsicherheiten beim Treppensteigen.
- Es bestehen erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen oder Schreiben.
- Visuell komplexe Situationen lösen inadäquate Unsicherheit oder Ängste aus.
- Aufgaben mit visuellen Anforderungen lösen schnelle Ermüdung aus oder werden vermieden.
- Die Schwierigkeiten lassen sich nicht durch kognitive, motorische oder augenärztliche Befunde erklären.
Broschüre "Aber die Augen sind doch gesund" Ablaufschema CVI
Die Diagnosestellung für CVI ist in den medizinischen Leitlinien der AWMF beschrieben, welche für Deutschland, Österreich und die Schweiz gelten. Die überarbeitete Version wird voraussichtlich 2026 veröffentlicht.
Die Diagnose CVI wird gemeinsam von mindestens einer Fachperson Ophthalmologie und einer Fachperson Neuropsychologie gestellt.
Eine Abklärung umfasst in der Regel:
- eine ophthalmologische und eine orthoptische Abklärung (erweiterter orthoptischer Status, eventuell zusätzlich ein CVI-Screening)
- eine neuropsychologische Abklärung
- eine funktionale Low-Vision-Abklärung durch regionale Visiopädagogische Dienste, evtl. zusätzlich ein CVI-Screening
- ggf. eine entwicklungspädiatrische (bei Kindern) oder neurologische Abklärung (bei Erwachsenen)
- ggf. eine audiologische Abklärung (insbesondere, wenn eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) zusätzlich abgeklärt werden soll)
Fachpersonen aus der Fachgruppe CVI unter der Leitung des SZBLIND haben ein Ablaufschema zum Prozess der Diagnosestellung und Unterstützung erstellt.
Ablaufschema CVI Liste "Kantonale Stellen für Kinder mit CVI"
Personen mit CVI und ihre Angehörigen:
Bei einem ersten Verdacht wenden Sie sich an Ihre Hausärztin bzw. Ihren Hausarzt oder an die Kinderärztin bzw. den Kinderarzt. Dort können Überweisungen an Fachpersonen aus Ophthalmologie, Orthoptik, Neuropsychologie, Neurologie sowie gegebenenfalls an die Entwicklungspädiatrie erfolgen.
Auch die Anmeldung bei einem regionalen Visiopädagogischen Dienst oder einer Beratungsstelle für Menschen mit Sehbeeinträchtigung kann dort in die Wege geleitet werden. Falls Ihnen oder der Ärztin bzw. dem Arzt geeignete Anlaufstellen noch nicht bekannt sind, hilft der SZBLIND weiter.
Fachpersonen:
Wenn Sie Fragen zum Vorgehen in einem konkreten Fall oder zu Ihrer Rolle im Abklärungs- und Unterstützungsprozess haben, wenden Sie sich an den Visiopädagogischen Dienst bzw. die Beratungsstelle für Menschen mit Sehbeeinträchtigung in Ihrer Region.
Bei übergeordneten Anliegen zum CVI-Netzwerk in der Schweiz (z. B. interdisziplinäre Zusammenarbeit, Fachgruppeninformationen, nationale und internationale Studienanfragen etc.), steht Ihnen die nationale Fachstelle CVI des SZBLIND zur Verfügung: Nationale Fachstelle CVI SZBLIND
Ablaufschema CVI Liste "Kantonale Stellen für Kinder mit CVI" Beratungsstellen
CVI ist im eigentlichen Sinne nicht heilbar. Derzeit gibt es keine Medikamente oder medizinischen Eingriffe, die direkt zur Behandlung von CVI eingesetzt werden können. Ausnahmen bilden klare medizinische Ursachen, die beseitigt werden können (z. B. ein entfernbarer Tumor).
Bei erworbenen Fällen von CVI, etwa nach einem Schlaganfall oder Unfall, ist die Chance hoch, dass sich visuelle Einschränkungen teilweise oder vollständig zurückbilden. Dennoch können auch in der Rehabilitationsphase erhebliche visuelle Einschränkungen auftreten, die den Alltag deutlich erschweren und deshalb berücksichtigt werden müssen. Zudem ist davon auszugehen, dass bei einem Teil der Betroffenen zerebrale Sehbeeinträchtigungen über längere Zeit bestehen bleiben.
Auch wenn CVI nicht geheilt werden kann, lassen sich die Auswirkungen auf den Alltag durch gezielte Unterstützung deutlich verringern. Viele Lebensbereiche können dadurch wieder zugänglich gemacht werden. Mögliche Ansätze der therapeutischen und pädagogischen Unterstützung sind:
- Visuelle Trainings zur Verbesserung visueller Teilfähigkeiten (z. B. mit digitalen Programmen)
- Training von Kompensationsstrategien (z. B. systematisches Absuchen, auditive Merkhilfen, Erkennen von Personen oder Wegen anhand kritischer Merkmale, Ordnungsstrategien)
- Einsatz und Schulung von Hilfsmitteln (z. B. Sprachausgabe, Langstock, Lesefenster)
- Implementierung eines Nachteilsausgleichs in Schule oder Studium
- Anpassung des Arbeitsplatzes (z. B. einfarbige Pultunterlage, gute Beleuchtung, Reduzierung visueller Reize)
- Beratung der betroffenen Person und ihres Umfelds, um die zerebrale Sehbeeinträchtigung und damit verbundene Verhaltensweisen besser zu verstehen, einzuordnen und im Alltag angemessen zur berücksichtigen
Das lässt sich sehen!
Damit Menschen mit einer Seh- und Hörsehbehinderung ein besseres Leben führen können, wird viel getan. Aktuellste Informationen dazu erhalten Sie hier!